Spring School 2024
Mehr als ein Jahr lang haben unsere Teilnehmenden in digitalen Netzwerktreffen über Kontinente hinweg gemeinsam Projekte erarbeitet. Vom 19. bis 26. Mai kamen etwa 35 Aktivist:innen und Künstler:innen aus Lateinamerika und Schleswig-Holstein in der Internationalen Bildungsstätte Jugendhof Scheersberg im Norden Schleswig-Holsteins zusammen, um erstmals in Präsenz zusammenzuarbeiten, ihre Partnerschaften auszubauen, das in Kleingruppen erarbeitete Wissen auszutauschen und die Ergebnisse ihrer gemeinsamen Arbeitsprozesse im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung zu präsentieren.
Das Wochenprogramm bestand neben Kennenlernspielen aus Workshops zu Themen wie Antirassismus und Dekolonialismus, Fördermöglichkeiten, Methodenwissen u.a. Darüber hinaus gab es ein diverses kulturelles Angebot, was von der Präsentation von Dokumentarfilmen, Exkursionen in Schleswig-Holstein bis hin zu Salsa-Abenden, Puppenshows, Zirkusaufführungen und dem Teilen kultureller sowie spiritueller Traditionen reichte.
Voneinander Lernen
Am Sonntagnachmittag reisten alle Teilnehmenden aus den unterschiedlichsten Orten der Welt (Flensburg, Kiel, aber auch Argentinien, Brasilien, Kolumbien, Mexiko, Peru, Chile, sowie Trinidad und Tobago) in Scheersberg, einer kleinen Gemeinde im Norden Schleswig-Holsteins, an, wo die gesamte nächste Woche gemeinsam verbracht werden sollte. Somit war eine der größten Hürden bereits überwunden. Ein gemeinsames Abendessen und eine kleine Einführungsveranstaltung hieß alle willkommen.
Der Montagvormittag diente vor allem dem ausgiebigen Kennenlernen. Die Teilnehmenden hatten die Möglichkeit, sich sowohl persönlich kennenzulernen, als auch ihre Organisationen und Arbeit einander vorzustellen. Am Nachmittag hielt Blair Gopeechan (Trinidad und Tobago) einen Workshop zum Thema Antirassismus und Dekolonialisierung in dem die Teilnehmenden diskriminierende Erfahrungen teilen konnten und kolonialistische Perspektiven reflektierten. Ein Workshop, den wir als unverzichtbar für unsere globale Zusammenarbeit gesehen haben.
Am nächsten Tag finalisierten die Teilnehmenden in ihren bereits bestehenden Kleingruppen ihre im Laufe des letzten Jahres entwickelten Projekten, die sie am Donnerstag der Öffentlichkeit vorstellen sollten. Nachdem sie bis dahin nur digital zusammengearbeitet haben, bot sich hier erstmals die Gelegenheit, in Präsenz an einem Tisch zusammenzusitzen und Gedanken auszutauschen.
„Es war sehr wichtig, sich live zu treffen, um Solidaritätsnetzwerke zu knüpfen, voneinander zu lernen, gemeinsam Workshops für die Öffentlichkeit in Kiel zu veranstalten und vor allem, um das, was wir in virtuellen Treffen vorbereitet haben, mit mehr Leben zu füllen.“
Nachmittags reisten Kurhula Mhlaba und Andrea Ramelow vom Projekt „Klimadialog“ des Bündnis eine Welt Schleswig-Holstein an und gaben einen Workshop zum Thema Globale Partnerschaften und Nachhaltige Entwicklung. Auch in diesem Workshop wurden Perspektiven des Globalen Südens auf Entwicklungszusammenarbeit und Nord-Süd-Kooperationen geteilt.
Abends teilte Cristian Carvajal aus Chile seinen Dokumentarfilm über die trockenen Küstengebiete des Landes.
Der Mittwochmorgen begann mit einem kreativen Workshop von Kati Luzi Stüdemann (Kiel CREARtiv) und Natalia Fernandez (elcolmotiteres, Argentinien), der dazu anregen sollte, mit künstlerischen Methoden aktivistische Arbeiten zu unterstützen. Mittels tänzerischer Ausdrucksübungen wurden die Teilnehmenden darauf eingestimmt, sich auf kreative Ansätze einzulassen und erarbeiteten später in Gruppen selbst kreative Projekte für ein aktivistisches vorhaben.
„Für mich war die Spring School eine wertvolle und herzliche Begegnung mit lateinamerikanischen Erfahrungen in Deutschland, einem Land, das sich meiner Meinung nach sehr dafür einsetzt, Brücken zum Rest der Welt zu bauen. Ich konnte mit meinen Kolleginnen und Kollegen auf der Grundlage sehr unterschiedlicher Projekte inspirierende Ideen austauschen, alle mit Hirn und Herz. Dafür bin ich sehr dankbar.“
Ausflug nach Flensburg
Da ein Großteil der Spring-School-Teilnehmenden einen sehr weiten Weg nach Scheersberg auf sich genommen hatte und teilweise noch nie zuvor in Deutschland, geschweige denn Schleswig-Holstein, war, wurde ihnen ebenfalls die Möglichkeit geboten, das Bundesland kennenzulernen.
So fand Mittwochnachmittag ein erster Ausflug nach Flensburg statt. Nach einem Spaziergang durch die Altstadt mit ihren attraktiven Geschäften, Restaurants und romantischen Cafés inmitten der alten Gassen durfte natürlich auch ein Abstecher zum schönen Flensburger Hafen nicht fehlen. Anschließend entschied sich ein Teil der Gruppe noch für einen Ausflug an den Strand, um nahe der dänischen Grenze noch etwas mehr Ostseeluft zu schnuppern. Abends gab es dann noch Fischbrötchen, bevor es voll mit neuen Eindrücken zurück in die Unterkunft ging.
Öffentliche Veranstaltung in Kiel am 23. Mai
Die Spring School sah ihren Höhepunkt in der öffentlichen Veranstaltung am Donnerstag, den 23. Mai. Die Veranstaltung fand in den Räumlichkeiten der Alten Mu in Kiel statt. Nachdem das Team von Images of Lateinamerika die Veranstaltung eröffnet hatte, bekamen die Besuchende die Möglichkeit, sich die Projekte der Teilnehmende vorstellen zu lassen, eine Ausstellung zu bewundern, an einem von drei Workshops teilzunehmen, Podcasts zu lauschen oder einfach mit den Teilnehmenden in den Austausch zu gehen.
Die angebotenen Workshops bespielten unterschiedliche Themen und wurden gut besucht. Ein Workshop von Ingrid Lizeth Lizarazo Rodriguez (Casa Arteser, Kolumbien) und David Felipe Salamanca Lopez (La Boca Negra Circo, Kolumbien), beschäftigte sich mit der Förderung der eigenen Resilienz und des emotionalen Bewusstseins sowie der Begleitung von Selbsterkundungs- und Heilungsprozessen anhand eines Toolkits. Ein Methodenworkshop von Kati Luzie Stüdemann (Kiel CREARtiv, Schleswig-Holstein) und Natalia Fernandez (Elcolmotiteres, Argentinien) für aktivistische Prozesse und gab den Teilnehmenden kreative Ansätze und Werkzeuge für die eigene Workshopgestaltung mit auf den Weg. Vertreter*innen der indigenen Gemeinschaft „Pijao Mesas de Inca“ in Kolumbien leiteten einen Workshop über die Bedeutung des Rechts auf Konsultation und Entscheidungsbefugnis über das eigene Territorium, welches sie anhand ihrer eigenen Situation, in der sie sich gegen die Ansiedlung eins internationalen Ölkonzerns wehren, erklärten.
Die Fotoausstellung „Rostros del Secano Costero“ (Faces of the Coastal Drylands) von Cristian Carvajal aus Chile und Jochen Henrik Hartz aus Kiel gewährte den gesamten Nachmittag Einblicke in die regionalen, sozialen und ökologischen Folgen des Klimawandels in Regionen Chiles und Andalusiens und zeigte beispielsweise die zunehmende Bedrängnis nomadisch lebender Menschen, die seit Generationen von der Ziegenhaltung leben.
Weiterhin wurden diverse Podcasts und Kleinprojekte vorgestellt. Der Podcast „Latina. Eu?!“ (Latina, Ich?) von der brasilianischen Journalistin Camila Moraes erzählte von verschiedenen Personen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, welche zum Nachdenken über ihre lateinamerikanische Identität und Kultur anregen. Der in Zusammenarbeit produzierte Podcast "De raíz… resiliencia climática" von Jessica Agüero (AOPEB, Bolivien), Carolina Rendón (Low Carbon City, Kolumbien), Rafael Muratalla und Laura García (Mexiko) und Vicente Medaglia (Sítio Bandeira Branca, Brasilien), stellt Auswertungen von Daten zum Klimawandel und zur Resilienz im globalen Süden Lateinamerikas vor. Ein weiterer Podcast, „Lectura con voz de mujer“, produziert in Zusammenarbeit zwischen Paola Figueredo (Voces Latinas, Bolivien), Hannah Reasoner und Daniel Silva (CEPALC - Encuentros de Radio, Kolumbien) sowie Nicol Muslow und Paula Roja (BTF Chile) beschäftigte sich wiederum mit lateinamerikanischen Autorinnen und verfolgt das Ziel, Leser:innen zu motivieren, Bücher in spanischer Sprache zu lesen und ihnen Zugang zu Lektüre aus Lateinamerika zu ermöglichen. Stefan Heinzelmann hat gemeinsam mit Lisette Balbachan, Eloisa Larrea und Guillermo Movia (Internet Bolivia, Bolivien) produzierten Podcast „Utopías Distópicas“ (Dystopische Utopien) vorgestellt, der sich mit den Zusammenhängen und der Möglichkeit eines nachhaltigen und ausgewogenen Verhältnisses zwischen Technologien und der Umwelt auseinandersetzen.
Außerdem wurde das soziale Projekt „Agricultura urbana agroecológica” von Valeria Zago (Centro Federal de Educación Tecnológica de Minas Gerais, Brasilien), Francisco Flores (El jardín utópico, Kolumbien) und Gerardo Silva Rodríguez (Schleswig-Holstein) vorgestellt, der sich der Förderung lebensfähiger physischer Räume in lateinamerikanischen Städten widmet, um die Erzeugung gesunder Lebensmittel und die Bereitstellung von Räumen für Freizeitaktivitäten und kulturellen Austausch ermöglicht.
Blair Gopeechan von der karibischen NGO FACRP (Fondes Amandes Community Reforestation Project, Trinidad und Tobago) stellte das GAYAP-Toolkit vor, welches Verfahren, Leitlinien und Optionen für zivilgesellschaftliche Organisationen vermittelt, um wirkungsvolle, ökologische Veranstaltungen für Gemeinschaftsaktionen und -bewegungen planen und durchführen zu können. GAYAP wurzelt in indigenen und merikinischen Traditionen.
Abgeschlossen wurde der Tag mit mexikanischem Essen von Nantli sowie Elektrobeats mit lateinamerikanischem Einschlag von der DJane Lisa Cropp (L.A.U.T.H.). Nach der Veranstaltung ging es wieder zurück nach Scheerberg, wo der Erfolg des Events mit einem Salsa-Abend gefeiert wurde.
Die Veranstaltung wurde gut besucht und konnte die Aufmerksamkeit von Vertretenden aus Politik, Gesellschaft und Kultur sowie von Aktivist*innen verschiedener Nationalitäten auf sich ziehen. Sie ermöglichte einen regen Austausch und neue Kooperationsmöglichkeiten. Die Teilnehmenden konnten in diesem Rahmen Bilder von Lateinamerika nach Deutschland bringen und auch Stimmen von Menschen, die in deutschen Medien sonst wenig präsent sind, laut werden lassen.
"Das Projekt "Images of Lateinamerika" war eine Gelegenheit, die sozialen Initiativen, die in unseren Ländern entwickelt werden, sichtbar zu machen und die Zusammenarbeit zwischen uns zu stärken."
Workshop zu Projektförderung und Ausklang der Woche
Am Freitag informierte Tim Engelke von Engagement Global, zentrale Anlaufstelle für entwicklungspolitisches Engagement sowie der Informations- und Bildungsstelle, die Teilnehmenden zu den von Deutschland angebotenen Förderungsmöglichkeiten und Programmen für internationale Projekte.
Anschließend wurde die Woche ausgewertet, Eindrücke und Feedback gesammelt und ein Ausblick in die Zukunft des Projekts und die mögliche weitere Zusammenarbeit gegeben. Es hat sich gezeigt, dass die Teilnehmenden an ihren Kooperationen festhalten und ihre Projekte gemeinsam weiterentwickeln wollen.
Am Abend veranstaltet die Gruppe ein Kunst- und Kulturprogramm und nutzte das gute Wetter zum Grillen und für ein gemütliches Beisammensein am Lagerfeuer, wo traditionelle Geschichten und Lieder geteilt wurden.
„Der wichtigste Teil unserer Erfahrung sind meiner Meinung nach die Kontakte, die wir mit Menschen aus der ganzen Welt, vor allem aber aus Lateinamerika und Deutschland, geknüpft haben. Wir haben so viele Gemeinsamkeiten und so viel auszutauschen, dass solche Gelegenheiten, bei denen wir uns die Zeit nehmen können, einander wirklich kennenzulernen, Gold wert sind…“
Ausflug in den Nationalpark Wattenmeer
Eine weitere Erkundungstour in Schleswig-Holstein fand am Samstag statt. Diesmal ging es in den Nationalpark Wattenmeer, Biosphärenreservant und UNESCO-Weltnaturerbe. Das Wattenmeer ist ein einzigartiges Naturgebiet mit einer faszinierenden Landschaft, die durch Ebbe und Flut ständig im Wandel ist und darf bei einer Reise nach Schleswig-Holstein natürlich nicht fehlen.
Gemeinsam mit einer Wattführerin wanderte die Gruppe durch das Watt und konnten eine Vielzahl von Tieren und Pflanzen beobachten, die speziell an diesen Lebensraum angepasst sind, wie Wattwürmer, Herzmuscheln, Krebse und verschiedene Vogelarten. Wir hatten die Möglichkeit, mehr über das komplexe und fragile Ökosystem Wattenmeer zu lernen.
Die Watterkundung war vor allem zum Ende einer anstrengenden und inhaltlich vollen Woche ein tolles gemeinschaftliches Erlebnis, das den Teilnehmenden gleichzeitig Schleswig-Holstein näher bringen konnte und einen anregenden Rahmen schaffte, um die Eindrücke der letzten Tage sacken zu lassen und verarbeiten zu können.
Zurück in Scheersberg nutzten die Teilnehmenden den letzten Abend, um ihre privaten Projekte, wie Dokumentarfilme über indigene Gemeinschaften in Lateinamerika, vorzustellen. Mit einer Karaokeparty und dem gemeinsamen Singen von lateinamerikanischen und deutschen Liedern endete dann der letzte Abend, bevor sich alle am Sonntag mit einem Kopf voller neuer Ideen, Kontakte und Projekte wieder auf den Weg nach Hause machten.
Encuentros - Images of Lateinamerika
Lateinamerikanische Lebensrealitäten sind in unserem Alltag in Schleswig-Holstein wenig präsent. Das Projekt Images of – Lateinamerika konnte jedoch dazu beitragen, durch die enge Zusammenarbeit Vertrauen zwischen den Teilnehmenden aus Lateinamerika und Schleswig-Holstein aufzubauen und so einen intensiven Wissensaustausch fördern. Weiterhin konnte die zivilgesellschaft in Schleswig-Holstein durch die öffentliche Veranstaltung und die Pojekte der Teilnehmenden globales Wissen gewinnen.
So konnte durch die verschiedenen Elemente der Woche das Bewusstsein über kulturelle Aspekte und Ansätze beider Länder im Umgang mit globalen Themen wie Klimawandel, Agrarökologie, kulturelle Identität, indigene Rechte, Dekolonialisierung, Kunst und Feminismus geschaffen und gemeinsame Lösungsansätze entwickelt werden. Die Spring School schuf dabei nicht nur einen Rahmen, um inhaltlich voneinander zu lernen, sondern auch den sozialen Horizont durch die Begegnung mit Menschen unterschiedlicher Kulturen, Glaubensrichtungen und Fachkompetenzen zu erweitern. Zwar bieten digitale Tools viele Chancen, auch international eng zusammenzuarbeiten, die Spring School hat jedoch gezeigt, dass sie persönliche Zusammentreffen für ein vertrauensvolles Arbeiten nicht ersetzen können.
Die Teilnehmenden haben durch die Spring School viele Impulse für ihre weitere (gemeinsame) Arbeit erhalten und konnten ihr Netzwerk nach Deutschland, insbesondere nach Schleswig-Holstein, ausbauen, um auch künftig weiter an globalen Herausforderungen zu arbeiten.
„Das wirkliche Kennenlernen und sich erfahren war dann aber erst durch den physischen Kontakt während der Springschool möglich. Diese Woche war ein enorm wichtiger Baustein im Projekt. Diese Menschen wirklich kennenzulernen, gemeinsam zu arbeiten, sich auszutauschen, sich zu vernetzten empfinde ich als großes Lebensgeschen. […] Als Mensch konnte ich mal wieder über den eigenen Tellerrand schauen und meine Sicht auf viele Themen verändern. Ich bin bewegt und aktiviert worden und habe erfahren, wie wichtig es ist, sich für die Welt zu öffnen, sich zu begegnen und uns als Ganzes zu begreifen.“